Geh mit dem Fluss
Text: Barbara Schibli
Alles ist im Fluss. Fliessen bedeutet Bewegung, Lebendigkeit. Der Fluss und das Fliessen sind zentrale Themen im künstlerischen Arbeitsprozess der Zürcher Performerin und Malerin Christine Bänninger und im kleingeschriebenen Titel der Ausstellung vereint sie beide, Fluss und Fliessen: fluss.
Mit dem Fluss gehen, das ist der Künstlerin wichtig, im Fliessen sein, dem folgen, was da fliesst und wie es fliesst. Flüssiges findet da seinen Weg, wo es den geringsten Widerstand gibt. Und Christine Bänninger folgt diesem Weg, mit der Schere, dem Cutter, dem Pinsel. Sie schneidet den Farbspuren entlang, so dass aus ihnen Objekte werden, sie aus dem Zweidimensionalen ins Dreidimensionalen finden und über Wände und Stufen fliessen. Oder sie sucht auf einer mit vielen Schichten bemalten Leinwand bewusst nach Formen, entscheidet, was bleibt und was verschwindet. Folgt den Strukturen, gestaltet sie, arbeitet sie heraus, fängt sie ein – um sie wieder freizulassen.
Diese Arbeit, gerade das stundenlange Schneiden der Papierschnitte, bringt die Künstlerin selbst in den Fluss: Es ist eine meditative Arbeit, die sie so erst heute realisieren kann, da sie Ruhe und Konzentration verlangt, die sie vor einigen Jahren so noch nicht hatte. Insofern reflektiert gerade auch das Werk «Liquid Olive» den Fluss des Lebens, den Wandel. Fliessen offenbart auch das Verbundensein mit sich, mit der Zeit und der Welt.
«Liquid Olive» ist aus einer Performance der Künstlerin entstanden. Im Val Müstair, in der Chasa Jaura, hat sie die Farbe Olive über eine weisse, fünf Meter lange Papierbahn geschüttet und sich dann in einem weissen Kleid über die Farbe hinweggerollt und damit dem Fliessen auch Gestalt gegeben. Durch diese Bewegung hat sich der Körper mit der Farbe verbunden, Kleid und Papierbahn erlebten eine olivfarbene organische Struktur. Die oliven Farbverläufe auf der Papierbahn, die auf der Rückseite pink ist, hat Christine Bänninger dann filigran nachgeschnitten. Und so entstand ein Objekt, das selbst einen Fluss, ein algenhaftes Geflecht darstellt, das seinen farbigen Schatten wirft. Das Objekt fliesst von der Wand, über eine Stufe, bis auf den Boden, unmittelbar vor die Füsse der Betrachtenden, die sich dem Fluss so nicht entziehen können.
Das organische Fliessen zeigt sich aber auch in Installationen, die Organe darstellen könnten, die den Titeln nach, Früchte und Inseln sind. Einnehmend auch das Gemälde «Billies Landstück», das organisch zu wachsen scheint. Hier wird die Arbeit mit Schichten nochmals deutlich, mit ihnen erzeugt die Künstlerin bewusst Tiefe. Genau wie in den mäandernden Papierschnitt-Objekten wird so auch der düstere Aspekt, der Teil des Flusses ist, hervorgehoben.
Wichtig ist der Künstlerin bei allem Fliessen aber auch, dass einmal ein Punkt gesetzt, ein Stein in den Fluss gelegt wird, und damit das Wasser anders gelenkt wird, als es sonst verlaufen würde. Es sind Eingriffe, Entscheide, die mit der Schere, dem Pinsel meist sehr intuitiv getroffen werden; eine zutiefst emotionale Arbeit, dann wenn in das Spontane, Unvorhergesehene eingegriffen wird, vielleicht damit auch zerstört wird.
Als Betrachter*in wird man hineingezogen in diesen Fluss – und wenn es so ist, dass sich beim Betrachten etwas von dem überträgt, was beim Entstehungsprozess des Kunstwerkes entscheidend war, dann sind wir jetzt auch im Fluss, gehen mit ihm.